„EINE STAMMDATENQUALITÄT

VON BIS ZU 95 PROZENT IST MÖGLICH.“

Wie Big Data Analysen Wertschöpfungsprozesse verbessern, erläutert Daniel Fathmann, Manager Supply Networks bei der msg industry advisors ag.

Die Vernetzung von Menschen, Maschinen und Daten eröffnet Unternehmen neue Wertschöpfungspotenziale. Wo sollten Entscheider in Logistik und Einkauf ansetzen, um Daten effektiv zu nutzen?

Zuerst einmal gilt es, den Überblick im Daten-Dschungel zu gewinnen – dabei ist ein strukturiertes Wertstrommanagement eine zentrale Ausgangsbedingung. Wichtig ist eine klare, aber nicht zu detaillierte Abbildung der Material- und Informationsflüsse: was wird wo von wem wie und in welchen Zeiträumen über die Supply Chains bewegt? Wie sind dabei die Kommunikationswege gestaltet? Und vor allem: was kann man dabei verschlanken bzw. verbessern? Mit Big Data Analyse-Tools kann man diese Informationen gut in den Griff bekommen, um schnell in die Umsetzungsphase der Verbesserungsoptionen zu gelangen.

Zumal Big Data ja nun auch für produzierende bzw. global aufgestellte Unternehmen kein Neuland ist: ERP-Systeme erfassen schon seit vielen Jahren Bestellvorgänge, Bestands- und Bewegungsdaten vollautomatisch über alle Unternehmensprozesse hinweg. Damit ist schon einmal eine solide Datenbasis vorhanden – die birgt allerdings neben Chancen auch enorme Risiken. Unserer Erfahrung nach verbergen sich hier meist Fehlerquellen, die sich bei genauerem Hinsehen als wahrer Kostenfresser herausstellen und erheblichen Schaden bis in kleinste Verästelungen der Lieferketten anrichten können. Entscheider in Logistik und Einkauf sollten Big Data Analysen einsetzen, um diese Fehler auf ein Minimum zu reduzieren. Die Kunst liegt dabei darin, die nötige Balance zwischen der Erhebung von Datenmassen und der Einsichtsfähigkeit in Tiefenstrukturen zu finden: Transparenz bei gleichzeitiger Datenvielfalt lautet das Stichwort.

Welche Problemfelder fallen Ihnen dabei in der Praxis immer wieder auf?

Wir haben viele Logistik-, Einkaufs- und Lagerprozesse untersucht. Was man sehr häufig sieht, sind überfüllte Lager vor Ort, ein Indiz für ein schlechtes Bestellmanagement – und der erste Eindruck täuscht meist nicht. Doch weder der Augenschein noch der erste Blick in die ERP-Daten verraten uns, welche Materialien überzählig vorhanden sind. Unsere Aufgabe ist es, zu klären, ob ein ineffizient genutztes Lager auf falsche Nachschubstrategien oder auch fehlerhafte Kundenzuordnungen zurückzuführen ist. Mit punktuellen Datenanalysen sehen wir, bei welchen Artikeln Überreichweiten entstehen oder wo die Zirkulation zu schnell verläuft und daher zu wenig Bestand vorrätig ist. Mithilfe der Analyse straffen wir diese Prozesse und entwerfen ein Bestandskonzept für das Unternehmen.

Die genannten Probleme sind zudem in der Regel eng miteinander verwoben. Dass diese Fehler überhaupt auftreten, hat mehrere Gründe: Meist sind sie auf eine unsaubere Integration von diversen, gleichzeitig agierenden ERP-Systemen oder eine fehlerhafte, manuelle Eingabe von Produktdaten zurückzuführen. Umso wichtiger ist eine Datenbereinigung – sonst wachsen geringe Probleme still und heimlich an und treten plötzlich in potenzierter Form auf. Das lähmt den Wertstrom dann meist länger und kostenintensiver als das Investment in eine akribische Bereinigung von Fehlerquellen in der Datenbasis.

Können Sie dazu ein konkretes Beispiel anführen?

Wenn durch einen Tippfehler bei der Dateneingabe in ein Bestellsystem das Komma beim Gewicht einer handelsüblichen Linsenkopfschraube von 1,5 auf 15,0 Gramm steigt, dann ist das Ausmaß des entstehenden Fehlers zunächst noch nicht ersichtlich. Aber dieser kleine Fehler entwickelt sich dann zu einem riesigen Problem, wenn automatisiert untaugliches Verpackungsmaterial oder ein ungeeigneter Warentransport geordert wird. Schlimmstenfalls kommt es zu Lieferverzögerungen, Zusatzkosten und unzufriedenen Endabnehmern. In der Regel stellen Unternehmen auch nicht nur einen, sondern oft tausende unterschiedliche Artikel her, wodurch die Fehleridentifikation sprichwörtlich zur Suche nach der Nadel im Heuhaufen wird. Dies zeigt, wie wichtig der Faktor Standardisierung im Zusammenhang mit automatisierten Dispositionsprozessen ist.

Wie gehen Sie bei der Identifikation der Fehlerquellen vor?

Die Datenbereinigung bildet die Grundlage für eine „saubere“ Fehleranalyse in bestehenden Logistik- und Einkaufsstrukturen. Ihre Qualität steht und fällt mit der Qualität der dort erhobenen Daten: In gängigen ERP-Systemen kann man mit einer Korrektheit der Artikel- und Materialstammdaten von rund 60 Prozent rechnen. Oftmals findet eine Fehleranalyse innerhalb des ERP-Systems selbst statt. Im Produktionsalltag verarbeiten Unternehmen jedoch gleichzeitig Unmengen an Daten für die laufenden operativen Prozesse: Eine Analyse, die ebenfalls in diesem System abläuft, würde Rechenressourcen blockieren und die Ursachenfindung kann sich dadurch einige Wochen hinziehen.

Wir verwenden ein Big Data Analyse Tool, das die Analyse auf wenige Minuten herunterbricht, indem in regelmäßigen Intervallen ein Rohdatenabzug aus dem System abgegriffen wird. Diesen Rohdatenabzug bearbeitet unser System extern, also ohne die Rechenkapazitäten des Unternehmens zu belasten. Dabei filtern wir keine normalen Daten, sondern Textdateien, die ein geringeres Datenvolumen von zwei bis drei Gigabyte einnehmen und sich einfach aus dem ERP-System heraustransferieren lassen. Der Vorteil dieses Rohdatenabzuges liegt darin, dass sämtliche Fehler auszuschließen sind, die durch die Weiterverarbeitung in ERP-Systemen entstehen. Somit liegt uns die „reinste“ Datenform vor, auf der unsere Fehleranalysen aufbauen. Mit Tools wie diesem ist eine Stammdatenqualität von bis zu 95 Prozent möglich.

Sie sprechen von Textdateien, die Sie analysieren: Wie muss man sich das vorstellen?

Eine klassische Fehlerquelle ist, lediglich Artikelbezeichnungen ohne die zugehörige Nummer im ERP-System einzutragen. Gängige Tools zur Big Data Analyse verarbeiten jedoch nur Daten im 01er-Format. Das heißt, es muss vorab eine strikte Zahlenzuordnung zu den jeweiligen Artikelnamen im System vorliegen. Das Tool, das wir verwenden, kann auch ohne Zahlen arbeiten, da es neben Zahlen auch Texte und Wörter in allen Sprachen erkennen und verarbeiten kann und so etwa den Freitextbestellungen die richtige Codifizierung automatisch zugeordnet wird.

Dabei nutzen wir die Tatsache, dass jede Sprache nach einem eindeutigen, semantischen Schema aufgebaut ist. Im Deutschen hat zum Beispiel das Wort „der“ die höchste Nutzungsfrequenz. Der Begriff an zweiter Stelle des Grundwortschatzes – in unserer Sprache „die“, gefolgt von „und“ und „in“ – wird bereits ein Drittel weniger häufig verwendet. So lässt sich die Kette bis zum Ende des Wortschatzes weiterführen und jedes Wort erhält eine eindeutige Zahlenkombination. Dieses systematische Vorgehen kann in jeder Sprache repliziert werden, ob im Englischen oder in Mandarin.

Durch das Zusammenführen von Artikelbezeichnung und -nummer erkennen wir dann sehr schnell unentdeckte Fehler, etwa bei der Bestellung von Bürobedarf: Wenn viele unterschiedliche Abteilungen separat voneinander Kugelschreiber ordern und diese ohne die Materialnummer im System erfassen, wird es schwer, den Überblick über den Gesamtbedarf an Kugelschreibern zu behalten. Die Zuordnung wäre allerdings für die Analyse innerhalb des ERP-Systems zwingend notwendig. Mithilfe des sprachbasierten Analysetools kann extern kontrolliert werden, wo der Fehler in der Erfassung von Materialnummern liegt, um anschließend das Einkaufsvolumen zu bündeln und einen monatlichen Grundbedarf an Bleistiften festzulegen.

Im Hintergrund des Analysetools arbeitet zudem eine selbstlernende Datenbank, die mehrere Sprachen unterstützt und im Stande ist, selbstständig den Verwendungskontext zu erkennen: Wenn von „A4“ die Rede ist, könnte es sich um ein Auto, einen Prozessor, ein Schrauben- oder ein Papierformat handeln. Das Tool registriert automatisch, welcher Artikel gemeint ist und ordnet die korrekte Artikelnummer zu.

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Daniel Fathmann

Daniel Fathmann verantwortet den Bereich Sustainable Supply Chains bei der msg industry advisors ag. Durch seine langjährigen Tätigkeit im operativen Supply Chain Management und seine Expertise im Bereich Nachhaltigkeit kennt er die aktuellen Herausforderungen. Er begleitet Unternehmen bei der nachhaltigen Ausrichtung von Lieferketten.

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