Ein kennzahlenbasiertes Right Data Management in der Logistik erläutert Norman Weiß, Head of Supply Chain Analytics & Sustainability, msg industry advisors ag. Der Artikel schildert, wie Unternehmen mit Kennzahlensystemen aus der Fülle der verfügbaren Informationen die richtigen Daten zur richtigen Zeit herausfiltern. Anhand von vier konkreten Handlungsfeldern der Logistik wird dazu erläutert, welche Kennzahlen dort für das Monitoring operativer Prozesse relevant sind.
Ein ganz besonderes Hightech-Transportmittel des digitalen Zeitalters begegnet uns regelmäßig auf der Autobahn: wuchtig, auf effizienten Verbrauch getrimmt und mit „smarter“ Sensorik bestens ausgerüstet, um theoretisch auch ohne den Fahrer gleichmäßig auf der rechten Spur dahinzugleiten – nein, hier ist ausnahmsweise nicht ein Tesla gemeint, sondern ein „Smart Truck“. Die Lastwagen der jüngsten Generation mögen im Straßenbild optisch nicht auffallen, stehen aber für eine der gravierendsten Veränderungen der digitalen Transformation. So erzeugen beispielsweise Smart Trucks von Daimler bereits heute mit rund 400 Sensoren und über 130 Millionen Zeilen Code in der Software – das ist übrigens mehr als in einem Jet – permanent Daten, die wertvolle Kennzahlen für die Überwachung und Verbesserung von Logistikprozessen sein können.
Können – denn diese Fülle stellt zugleich nur ein Bruchteil der Daten dar, die heute in jedem Abschnitt der Supply Chain bereitstehen. Logistikentscheider sind daher mehr denn je darauf angewiesen, aus dieser Datenmasse mit einem „Right Data Management“ genau die richtigen Kennzahlen für die Analyse, Planung und Steuerung komplexer Wertschöpfungsnetzwerke herauszufiltern. Natürlich wird etwa die durchschnittliche Transportzeit pro Transportauftrag oder der Auslastungsgrad von Transportmitteln mit Ist-/Soll-Nutzung pro Zeiteinheit auch beim autonom fahrenden Smart Truck der Zukunft sicherlich eine zentrale Rolle spielen. Doch die Digitalisierung und die rasante Weiterentwicklung des Internets der Dinge treiben die Fülle und Komplexität der erzeugten Informationen: wenn jeder LKW selbstständig nicht nur mit anderen LKW und PKW kommuniziert, sondern auch mit Autobahnschildern, Wetterdiensten, Tankstellen und Distributionszentren, ergeben sich daraus ganz neue Chancen für die Logistikplanung.
Von Kennzahlen zum Kennzahlensystem
Doch wie gelangt man an die „richtigen“ Kennzahlen, nutzt – wie in diesem Beispiel – die Chance, Daten in entscheidungsrelevante KPIs umzuwandeln? Generell gilt: Jede Kennzahl muss dazu beitragen, die operative Führung durch eine Informations-Verdichtung zu entlasten, also etwa mit validen Indizes, aktuellen Zielvorgaben, oder schnell erfassbar dargestellten Wirkungszusammenhängen. Dies geschieht über Kennzahlensysteme, die sich idealerweise nicht nur auf Teilbereiche des Unternehmens beschränken, sondern die Informationsversorgung von der Kostenstelle über die Abteilung bis hin zur Unternehmensspitze verbessern. Sie machen komplizierte Prozesse und Zusammenhänge messbar, den Status Quo von Leistungen transparent und ein Benchmarking der eigenen Position im Supply Chain Umfeld möglich.
Kennzahlen und Kennzahlensysteme sind also Instrumente, die stets auf zwei verschiedenen operativen Ebenen zum Einsatz kommen: als Analyse- und Darstellungsinstrument auf der Prozessebene sowie als Führungsinstrument, etwa bei Score-Cards. Die schrittweise erfolgende Verdichtung von der Kennzahl zum Kennzahlensystem lässt sich über das Bild einer Pyramide veranschaulichen, an deren Spitze das Unternehmensziel steht, der wirtschaftliche Erfolg (s. Grafik 1 in PDF-Ansicht). Dessen „Fundament“ sind die vier Seitenflächen der Pyramide – Kunden, Geschäftsprozesse, Finanzen und Mitarbeiter.
Jeder dieser vier Bereiche erzeugt die für die Unternehmenssteuerung relevanten Kennzahlen: beginnend bei PPIs (Process Performance Indikators) als breitester Basis, also im Falle der Supply Chain der Auftragsabwicklungszeit. Diese umfasst die PPIs Beschaffungszeit, Fertigungszeit, interne Lagerzeit, Verpackungszeit sowie Gesamtauslieferungszeit, die auf der nächsten Stufe als BPI (Business Performance Indicators) zusammen gefasst und schließlich zu den KPIs (Key Performance Indicators) konsolidiert werden. BPI sind hier die Auftragsabwicklungszeiten der Geschäftsbereiche, die als KPI der Gesamtauslieferungszeit verdichtet werden und so als Management-Kennzahl direkte Rückschlüsse auf den wirtschaftlichen Erfolg zulassen. Allerdings müssen es nicht zwingend drei Ebenen sein – oft fehlt die Ebene der BPIs oder die Bedeutungen der PPIs und BPIs vermischen sich.
Monitoring System für Logistikkennzahlen
Anhand dieser Pyramidenstruktur lässt sich ein IT-gestütztes System zum Monitoring von Kennzahlen aufbauen, das Wirkzusammenhänge und Kennzahlen visuell darstellt. Hierbei gilt ebenfalls das Prinzip der Verdichtung: je einfacher und eindeutiger die Informationen dargestellt werden, desto schneller lassen sich Probleme entdecken und lösen. Wichtig ist zudem, eine überschaubare Anzahl von Kennzahlen zu priorisieren, die sich leicht erheben lassen und mit den Unternehmenszielen übereinstimmen.
Gerade in der Logistik ist dies aber leichter gesagt als getan. Denn vielen Unternehmen fehlen hier nicht nur schlicht die zeitlichen Kapazitäten, eine entsprechende Analyse vorzunehmen. Die größte Hürde liegt meist darin, den richtigen Ansatzpunkt für die Entwicklung eines neuen, individuellen Kennzahlensystems zu finden. Dieses muss sowohl Datenquellen der bereits vorhandenen IT-Infrastruktur wie ERP- und Planungsmodule integrieren als auch zukünftige Technologien adaptieren können. Denn vielleicht sendet der Kunde ja zukünftig seine Order nicht mehr via SAP- oder Webshop, sondern über eine eigens programmierte Partner-App. Wichtige Kennzahlen können so noch schneller visualisiert werden – oder mangels passender Schnittstelle im Daten-Nirvana verschwinden.
Hilfe verschaffen Programme zum Monitoring von Logistikprozessen. Bei deren Auswahl und Vergleich sollten Unternehmen darauf achten, welche Kennzahlen das Programm in den folgenden vier Bereichen erfasst: dem Bestandscontrolling, dem Lieferanten- und Einkaufscontrolling, der Bedarfsplanung und über spezielle Analysefunktionen.
Beim Bestandscontrolling kommt es darauf an, mit einem Klick die wichtigsten KPIs zu erfassen, also zum Beispiel das tatsächliche Inventar (Anzahl / Menge / Wert), die Inventarabdeckung in Wochen und den niedrigsten Lagerbestand. Zudem sollte nicht nur der retrospektive Blick auf die historische Entwicklung der täglichen Lagerbestände möglich sein, sondern auch das direkte Justieren der Parameter, welche diese festlegen – etwa Sicherheitsbestände, Chargengröße, Planungsparameter und Lieferzeit.
Alle Ereignisse, die Transparenz beim Lieferanten- und Einkaufscontrolling verschaffen, sind beim Monitoring ebenso zu berücksichtigen. Neben dem Bestellzeitpunkt und dem Datum der Materialbereitstellung sind das zum Beispiel die Daten des Warenein- und –ausgangs und der tatsächliche Liefertermin. Eine höhere Prozesseffizienz sollte sich darüber hinaus aus der Verbindung von Bestandsentwicklung und Lieferzeit ergeben: Unternehmen sollten bspw. mit Hilfe eines Logistic Analytic Tools ihre Bestände und Lieferzeiten abstimmen. Die Berücksichtigung der benötigten Lieferzeiten zum Kunden in Verbindung mit Wiederbeschaffungszeiten für diese Produkte ermöglichen optimale Lagerbestände – und damit ein geringes Working Capital.
Ein besonders interessanter Effizienz-Hebel ist die vorausschauende Bedarfsplanung. Im Idealfall bietet ein Monitoring System dem Logistik-Entscheider hierzu integrierte Prognosemodelle, die automatische Vorschläge für die optimale Auswahl von Gütern auf der Grundlage vorangegangener und prognostizierter Abweichungen machen. Planungsmethoden mit neuronalen Netzwerken können die typischen Planungssysteme erweitern und die Zukunft auf Basis statistischer Informationen genauer vorhersagen – und so die Planungsqualität positiv beeinflussen. Außerdem ist eine Simulationsanwendung hilfreich, mit der sich verschiedene Einstellungen des MRP-Prozesses testen lassen, Ersatzteilverfügbarkeit, Bestände von Ersatzteilen, Lagerverweildauer von Teilen.
Unbedingt zu berücksichtigen sind auch Analysefunktionen, die schnell wertvolle Informationen aggregieren können. Beispielsweise mit ABC / XYZ und INV / XYZ Analysen, um den Nachschub zu optimieren und Einsparpotenziale zu überprüfen; ebenso nützlich sind Benchmark-Berichte zum Vergleich der Logistikprozesse an unterschiedlichen Standorten oder gegenüber anderen Branchen.
Die geschilderten Anwendungsbeispiele verdeutlichen, dass die passenden Tools für eine transparente und stabile Gestaltung von Kennzahlensystemen in der Logistik bereits vorhanden sind. Nun liegt es an den Unternehmen, diese aktiv auszuprobieren. Dabei ist vor allem eine innovationsorientierte, mutige Haltung erforderlich. Denn ob sich neue, disruptive Technologien wie der autonom fahrenden LKW letztendlich tatsächlich durchsetzen werden, mag noch nicht entschieden sein. Sicher ist aber, dass die Entwicklungsvielfalt und Geschwindigkeit der Digitalisierung ein neues Verständnis vom Umgang mit Kennzahlen erfordert, dass Messgrößen eben nicht als fixe Werte, sondern als Zielkorridore erfasst und somit die Entwicklung von kontinuierlichen Prozessen abbildet.
Expertentipps: Kennzahlen richtig definieren
• Benennen Sie die Ziele für Ihren Verantwortungsbereich.
• Woran wird Ihr Erfolg gemessen? Wo erkennen Sie Probleme? Wo gibt es Handlungsdruck?
• Bestimmen Sie die Kennzahlen, anhand derer Sie erkennen, ob sie ein bestimmtes Ziel erreicht haben.
• Legen Sie fest, wie die Daten für die entsprechenden Kennzahlen gemessen werden (Messverfahren, Messrhythmus, Messverantwortlicher).
• Berechnen Sie die Kennzahlen aus diesen Daten und erklären Sie allen Mitarbeitern, was die Kennzahl bedeutet.
• Es muss Klarheit und Einverständnis darüber herrschen, was die Kennzahl aussagt.
• Erheben Sie die entsprechende Kennzahl über den für Sie relevanten Zeitraum.
• Arbeiten Sie regelmäßig mit diesen Kennzahlen, indem Sie mit Ihren Mitarbeitern darüber sprechen und Aktionen und Maßnahmen ableiten, wenn etwas verändert oder verbessert werden muss.
Norman Weiß
Norman Weiß verantwortet den Bereich Sustainable Supply Chains bei der msg industry advisors ag. Durch seine langjährigen Tätigkeit im operativen Supply Chain Management und seine Expertise im Bereich Nachhaltigkeit kennt er die aktuellen Herausforderungen. Er begleitet Unternehmen bei der nachhaltigen Ausrichtung von Lieferketten.