Regeln für die Post-COVID Zeit
Praxiserfahrungen von Digitalisierungs-Champions
Die vergangenen Wochen des Shutdowns stellten Unternehmen auf eine harte Bewährungsprobe. Einige konnten den Balanceakt zwischen Homeoffice und Werkstandort kaum bewältigen, andere steuerten den Großteil von Produktion, Qualitäts- und Risikomanagement souverän von daheim.
Wer bereits zu den Digitalisierungs-Champions zählte, mag zwar erfolgreicher in den Modus der Remote-Organisation gewechselt sein. Egal ob diese Transformation schwerer oder leichter fiel – in jedem Fall sollten Unternehmen hinschauen, an welchen Stellen Verbesserungspotenzial durch die Krise zutage tritt. Das ist nicht nur für den gelungenen Restart notwendig, sondern auch zur Vorbereitung auf eine Welt, in der die globalen Wertschöpfungsketten gestört sind. Annex 11 der EudraLex fordert hier lakonisch „provisions should be made to ensure continuity of support for those [critical] processes“.
Nur: wo ansetzen, wenn die damit einhergehende Ungewissheit zur Konstante wird? Wir beobachten in aktuellen Projekten Hürden und Erfolge, die sich zu drei Phasen von „Lessons Learned“ in der Corona-Krise zusammenfassen lassen:
Phase 1: Akute Schmerzpunkte angreifen
In der ersten Phase steht die Bewältigung der unmittelbaren Krisenfolgen im Mittelpunkt. Es zählt, kurzfristig die richtigen Entscheidungen in den Dimensionen Organisation, Kommunikation und Technologie zu treffen und entsprechende Ressourcen zu mobilisieren. Wichtig ist insbesondere:
- Enjoy the Fire-Fighting: Alle Stellen, an denen Arbeitsprozesse stocken, im Fokus behalten – bis das Problem gelöst ist. Zudem gilt es, sämtliche Geschäftsabläufe im Remote-Betrieb aufrecht zu erhalten, nicht nur die Kernprozesse!
- Be smart: Hürden und Lücken in den Arbeitsabläufen mit einfachen technologischen Lösungen überbrücken. Etwa mit einer App, mit der die Mitarbeiter Dokumente schnell scannen und sicher versenden können. Hier sollte der Compliance-Verantwortliche prüfen, ob diese Anwendungen zumindest zur Sicherstellung des temporären Workarounds eingesetzt werden dürfen.
- Be smarter: Die Umstellung auf Remote-Betrieb und Teamarbeit via Homeoffice wird Schwachstellen beleuchten, die bereits bekannt waren, sich aber nach dem Prinzip „haben wir immer schon so gemacht“ und „das bisschen Mehrarbeit“ ausblenden ließen. Wo es immer noch Papierworkflows gibt, die nicht mehr auf dem kleinen Dienstweg von Büro zu Büro erledigt werden, hilft in Zukunft ein elektronisches Dokumentenmanagement- oder CAQ-System. Wichtig ist, solche Lösungswege verstärkt in der Zeit nach der Krise aus den Corona-Lessons Learned weiterzuentwickeln.
Phase 2: Resilienz für zukünftige Krisen entwickeln
Unternehmen, die Phase 1 bereits gut managen, dokumentieren Hürden und Best Practice Lösungen, um in der nächsten Phase den Nutzwert dieser Lösungen zu bewerten: ist die Lösung auch in anderen Geschäftsbereichen sinn- bzw. wertvoll? Wie trägt sie zu einer zukünftigen, koordinierten Vorgehensweise beim Dokumentenmanagement bzw. CAQ (Computer Aided Quality) im Unternehmen bei?
Anders als in vergangenen Krisen und Game Changer-Situationen ist der zeitliche Spielraum für dieses Vorgehen allerdings nicht abschätzbar. Sicher ist nur, dass COVID-19 die Kräfteverhältnisse und Spielregeln der Globalisierung neu bestimmt. Somit gilt es, in mehreren Szenarien zu planen, von denen eines von einem Wechsel zwischen Abschottung und Lockerung ausgeht. Bei einem solchen „Drill Down“ auf unterschiedliche Szenarien sollten möglichst viele Stationen der Wertschöpfungskette in Hinblick auf Digitalisierungspotenziale neu bewertet werden, insbesondere zu diesen Aspekten:
- Be ready to switch: Wie wirkt sich der „Stop & Go“ vom Normal- in den Remote-Betrieb und wieder zurück aus? Sind Planungs- und Validierungsprozesse im Compliance-Management auf diesen Wechsel optimal abgestimmt?
- Switch fast: Welche Technologien und Organisationsstrukturen vereinfachen und beschleunigen die Übergänge? Hier sollte man kritisch durchleuchten, welche analogen Prozesse sich per Dokumentenmanagement oder anderen Softwarelösungen digitalisieren lassen.
- Switch safe: Wovon hängt die Funktionsfähigkeit im Remote-Betrieb ab? Sind unsere Prozesse digitalisiert, so dass ich z.B. als Qualified Person alle Informationen erhalte und Bedingungen vorfinde, um im Homeoffice eine Charge freizugeben? Hier kann es helfen, die Meinung des lokalen Inspektors zu kennen, es sind also längst nicht alle Maßnahmen technisch.
Phase 3: Horizont erweitern
Die dritte Phase ist die Umstellung der Organisation auf digitale Geschäftsprozesse, z.B. indem der Anteil digitaler Services in der Produktion oder für Kunden und Partner sukzessive erhöht wird. Für Arzneimittelhersteller kommt aufgrund ihrer Versorgungspflicht gegenüber den Kunden / Patienten hinzu, in dieser Phase ihre Supply Chain Strategie zu prüfen und anzupassen. In diesem Kontext sollte man die Variante einer Europäisierung durchspielen: zahlt es sich im Falle wiederholter Pandemien und Shutdowns aus, wieder regionalere Lieferketten aufzubauen?
Bereits heute zeichnet sich ein Trend in diese Richtung ab. Zudem profitiert die Fertigung von Automation und sogar Robotik, da es selbst bei hochautomatisierten Produktionsanlagen in Deutschland noch immer Entwicklungspotenziale gibt. Auch hier geht es auf lange Sicht darum, Automatisierung und Digitalisierung so zu vereinen, dass in der Krise Prozesse immer reibungslos ablaufen. Ich bin mir sicher, dass die hier erzielten Verbesserungen nicht nur in Krisenzeiten positive Auswirkungen in Ihrem Unternehmen haben.