„GenAI-Use Cases müssen vom Prozess,
nicht von der Technologie her gedacht werden“

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„GenAI-Use Cases müssen vom Prozess, nicht von der Technologie her gedacht werden“

Interview mit Dr. Dennis Janning, Head of Life Science Services & Medtech, über die transformative Kraft von Generativer KI im Pharma-Umfeld.

Herr Dr. Janning, wie bewerten Sie das langfristige Potenzial generativer KI (GenAI) für die Pharma-Branche?

Generative KI könnte die Pharmaindustrie grundlegend verändern. Und das in einer Geschwindigkeit, die frühere technologische Fortschritte bei weitem übertrifft. Das transformative Potenzial steckt allerdings nicht in der Technologie selbst, sondern in den durch sie radikal veränderten Prozessen. Ähnlich wie das Internet die Art und Weise, wie wir Informationen teilen und Geschäfte tätigen, transformiert hat, wird GenAI die Wertschöpfungsketten in der Pharmaindustrie neu definieren.

Die Entwicklung von GenAI folgt einem Verlauf, der typisch ist für neue Technologien. Dabei kommen nach einem technologischen Durchbruch viele Anwendungen auf den Markt, obwohl die Technologie nicht vollständig ausgereift ist und die häufig sehr euphorischen Erwartungen nicht einlösen kann. Erst wenn der Hype vorbei und das Tal der Tränen durchschritten ist, beginnt sich das tatsächliche Potenzial der Technologie im praktischen Einsatz zu zeigen.

Die Branche steht also vor der Herausforderung, GenAI verantwortungsvoll zu integrieren und gleichzeitig ihre regulatorischen und prozessualen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.

Was bedeutet das konkret für Unternehmen, insbesondere im Hinblick auf die strengen regulatorischen Anforderungen in der Pharmaindustrie?

Unternehmen müssen den Einsatz von GenAI sowohl unter regulatorischen als auch unter Effizienzgesichtspunkten betrachten. Die regulatorischen Anforderungen der Pharmaindustrie sind zwar anspruchsvoll, bieten aber auch eine Leitplanke für Innovationen. Unternehmen müssen identifizieren, wo GenAI einen echten Mehrwert bieten kann. Entweder dadurch, dass die Technologie traditionelle Methoden disruptiv ersetzt, oder dort, wo bereits sehr gut funktionierende Prozesse etabliert sind, punktuell verbessert.

Es gibt bereits Beispiele für vielversprechende Technologien, die dennoch nicht breitflächig in der Pharmaindustrie implementiert wurden. Ein solches Beispiel ist die Blockchain-Technologie. Damit ließen sich theoretisch Transparenz und Sicherheit in pharmazeutischen Lieferketten erhöhen. Doch da die bestehenden Prozesse vielfach gut etabliert und ausreichend effizient sind, steht der Mehrwert nicht in einem sinnvollen Verhältnis zum Aufwand. GenAI sollte daher nicht um ihrer selbst willen implementiert werden, sondern dort, wo sie einen klaren Vorteil gegenüber bestehenden Lösungen bietet.

Wie identifiziert man die richtigen Use Cases für GenAI?

Der Schlüssel liegt im Prozessdenken. Dort, wo präzise Inputs und Outputs gefordert sind, sollten eher prädiktive Modelle oder traditionelle IT-Systeme eingesetzt werden. Unternehmen sollten also gezielt nach Bereichen suchen, in denen unstrukturierte Daten eine Rolle spielen und wo kreative Lösungen gefragt sind. GenAI kann aus großen, komplexen Informationsströmen neue Erkenntnisse generieren und Prozesse effizienter gestalten.

Ein Beispiel dafür ist die Analyse von Patientenfeedbacks und klinischen Studien, wo GenAI dazu beiträgt, neue Muster in den Ergebnissen zu erkennen, die manuell schwer zu identifizieren wären. Besonders in Bereichen, in denen viele manuelle Tätigkeiten zur Verarbeitung von Texten, Studien oder Berichten erforderlich sind, kann GenAI erhebliche Zeit- und Effizienzgewinne bieten.

Ein anderes Beispiel sind datenintensive Felder wie Drug Discovery oder bei der Analyse klinischer Studien kann GenAI durch die Verarbeitung großer Datenmengen und statistische Analysen dazu beitragen, Muster zu erkennen und neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. Besonders in Bereichen, wo strukturierte und unstrukturierte Daten wie Nebenwirkungen und klinische Ergebnisse kombiniert werden, kann GenAI helfen, schneller zu Ergebnissen zu kommen.

Hingegen ist GenAI dort, wo es auf genaue und strukturierte Datenverarbeitung ankommt, und die Prozesse standardisiert sind, weniger nützlich. Also etwa in Produktion oder Logistik.

Können Sie Beispiele nennen, wo entlang der Pharma-Wertschöpfungskette GenAI den größten Impact haben wird?

Ich sehe vor allem zwei Bereiche, in denen GenAI heute schon große Fortschritte ermöglicht:

In Forschung und Entwicklung kann GenAI dabei helfen, große Mengen an wissenschaftlichen Studien zu analysieren, zusammenzufassen und zu synthetisieren. Damit lässt sich die Informationsverarbeitung und in der Folge auch die Entdeckung und Entwicklung neuer Wirkstoffe stark beschleunigen.

Im kommerziellen Bereich schafft GenAI neue Möglichkeiten, um Kundeninteraktion zu personalisieren und Prozesse zu automatisieren. Ein Beispiel ist der “Compliant Content GenAIrator”, eine Lösung, die wir gemeinsam mit AWS entwickelt haben. Sie zielt darauf ab, die Engpässe im MLR (Medical, Legal, Regulatory) Review zu beseitigen, die oft die Erstellung und Veröffentlichung von Marketinginhalten in der Pharmaindustrie verzögern.

Durch den Einsatz von GenAI können Marketingteams Inhalte schneller erstellen, die sofort eine erste MLR-Überprüfung durchlaufen, was den gesamten Prozess von der Idee bis zur Freigabe signifikant beschleunigt. Die Content-Erstellung, die zuvor 1-3 Wochen in Anspruch nahm, wird auf nur 1-3 Tage verkürzt. Gleichzeitig werden durch die Vorabprüfung durch GenAI viele potenzielle Fehler vermieden, was die Anzahl der notwendigen Iterationen im MLR-Prozess erheblich reduziert und zu einer deutlichen Verkürzung der Gesamtprozesszeit führt.

Das Ergebnis sind nicht nur schnellere Freigaben und Veröffentlichungen, sondern auch erhebliche Kosteneinsparungen, da weniger manuelle Überprüfungsrunden erforderlich sind. Die GenAI-Lösung ermöglicht es, mit hoher Kreativität und Qualität maßgeschneiderte Inhalte zu erstellen, während gleichzeitig sichergestellt wird, dass diese Inhalte den strengen regulatorischen Anforderungen entsprechen. Dieses Beispiel zeigt, wie GenAI eine doppelte Wirkung erzielen kann: Es hilft, kreative Prozesse zu beschleunigen, während gleichzeitig die Einhaltung von Vorschriften in einem stark regulierten Umfeld gewährleistet wird.

Welche Rolle spielt der Mensch in dieser neuen Ära der Generativen KI?

Der Mensch bleibt als Architekt und Kurator die zentrale Instanz beim Einsatz von GenAI. Die Technologie arbeitet wahrscheinlichkeitsbasiert, die Ergebnisse sind deshalb nicht immer korrekt oder eindeutig. Vor allem in hoch regulierten Umfeldern, wie dem GxP-Bereich, bleibt der „Human in the Loop“ essenziell, um Qualität und Genauigkeit der Ergebnisse zu gewährleisten. KI wird den Menschen also nicht ersetzen, sondern seine Fähigkeiten erweitern und seine Effizienz erhöhen. Wir werden also künftig intensiv mit der KI kollaborieren und ihre Möglichkeiten nutzen – aber nicht die Kontrolle aus der Hand geben.

Gleichzeitig bedeutet ein verantwortungsvoller Einsatz von GenAI, die ethischen und datenschutzrechtlichen Aspekte zu beachten und die Integrität der KI zu gewährleisten. Das gilt insbesondere im Hinblick auf sensible Patientendaten. Unternehmen sollten strenge ethische Standards und Governance-Mechanismen einführen, um sicherzustellen, dass der Einsatz der Technologie sowohl transparent, nachvollziehbar und frei von Verzerrungen ist als auch regulatorischen Anforderungen entspricht, etwa den Datenschutzrichtlinien wie der DSGVO oder dem EU AI Act.

Wie können Unternehmen ihre Mitarbeitenden auf diese Veränderungen vorbereiten?

Durch die Förderung einer Kultur des kontinuierlichen Lernens und die Schaffung richtiger Rahmenbedingungen. Unternehmen sollten sichere Testumgebungen einrichten, in denen Mitarbeitende erste Erfahrungen mit der Technologie sammeln können, ohne sensible Daten oder regulatorische Vorgaben zu gefährden. Gleichzeitig gilt es Schulungsprogramme zu etablieren, die technologische Kompetenzen mit ethischen und regulatorischen Aspekten verbinden und sicherstellen, dass die Implementierung von GenAI verantwortungsvoll erfolgt. Um die Kontrolle über die KI-Ergebnisse zu behalten sind nicht nur technologische Kompetenzen erforderlich, sondern auch ein tiefes Verständnis für die Grenzen und Risiken von GenAI.

Abschließend, welche Vision haben Sie für die Zukunft der Pharmaindustrie mit GenAI?

Meine Vision ist eine Pharmaindustrie, die durch den intelligenten Einsatz von GenAI nicht nur effizienter und agiler wird, sondern auch patientenzentrierter. Ich glaube, dass wir uns auf dem Weg in ein neues Zeitalter der Medizin befinden. GenAI wird es uns ermöglichen, personalisierte Therapien zu entwickeln, Krankheiten früher zu erkennen und gezielt zu behandeln. Die Grenzen zwischen Forschung, Entwicklung und Anwendung werden verschwimmen, was die gesamte Wertschöpfungskette der Pharmaindustrie effizienter und flexibler macht.

Autor

msg Dr. Dennis Janning

Dr. Dennis Janning | Head of Life Science Services & MedTech

Dr. Dennis Janning ist Manager bei den msg industry advisors. Als Head of Life Science Services & MedTech verantwortet er die operative Umsetzung von zeit- und qualitätskritischen Kundenthemen.

Kontakt

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