Wie Process Mining die S/4HANA Migration beschleunigt
Migrationsprojekte sind immer auch ein Moment der Wahrheit. Denn sie machen die Schwachpunkte über die Jahre gewachsener Prozesslandschaften sichtbar und erhöhen dadurch die Komplexität beim Umstieg auf neue Systeme. Process Mining hilft dabei, Effizienzlücken und potenzielle Risiken in bestehenden Business Prozessen zu identifizieren, bevor diese im Migrationsprozess spürbar werden. Dadurch profitieren Unternehmen doppelt: Denn zum einen birgt die Behebung der so identifizierten Prozessschwachstellen enorme Einsparpotenziale. Zum anderen sinken die Aufwände für den Migration, durch eine vorab durchgeführte Prozessharmonisierung.
Egal ob die Ablösung eines zentralen Verwaltungsdienstes, die Überführung eines Software-Monolithen in flexiblere Services oder die Verlagerung von Anwendungen in die Cloud – die Komplexität bestehender Systeme und gewachsener Prozesslandschaften mit ihren individuellen Anpassungen, manuellen Workarounds und nicht-dokumentierten Änderungen gehört immer zu den größten Herausforderungen im Kontext von Migrationsprojekten. Denn nicht-identifizierte Abweichungen vom Standardprozess verzögern Migrationsvorhaben, erhöhen die Kosten durch aufwändige Anpassungen oder verschlechtern die Qualität der Business Prozesse im Zielsystem.
Kurzum: migriert man schlechte Prozesse auf ein neues System, bleiben die Schwachpunkte auch im neuen System erhalten. Oder, wie es der frühere Vorstandschef von Telefonica Deutschland, Thorsten Dirks, einmal ausdrückte: "Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess".
Operation am Herzen der zentralen Business Prozesse
Eines der derzeit wohl größten Migrationsvorhaben, vor dem etliche Organisationen stehen, ist die Umstellung auf SAP S/4HANA. Denn kaum eine andere Initiative hat so erhebliche Auswirkungen auf nahezu alle Aspekte eines Unternehmens wie die Migration des ERP-System (Enterprise Resource Planning) auf eine neue Lösung. Schließlich bildet das ERP-System das Rückgrat für eine Vielzahl von Prozessabläufen und jede Panne bei der Umstellung könnte katastrophale Folgen haben.
Bis Dezember 2027 haben Unternehmen laut Hersteller Zeit für diese Aufgabe. Dann soll S/4HANA die Vorgänger Business Suite und deren Kernanwendung, SAP ERP Central Component (ECC), ersetzen. Der ECC-Support wird laut Plan 2030 eingestellt.
Die richtige Migrationsstrategie finden
Bei der Migration auf das neue System können Unternehmen unterschiedliche Wege gehen: Während beim Brownfield-Ansatz die bestehenden Business Prozesse weitgehend eins zu eins in die neue Systemlandschaft überführt werden, setzen der Green- bzw. Bluefield Ansatz darauf, die Prozesse tlw. vollständig neu aufzusetzen bzw. lediglich ausgewählte Daten mitzunehmen. Letztere haben den Vorteil, dass der Ballast der gewachsenen Legacy-Systeme nicht in das neue System mitgeschleppt wird und dort die Performance negativ beeinflussen.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Unternehmen in der Planungsphase vollständige Transparenz darüber erhalten, wie gut ihre bestehenden Prozesse funktionieren. Das betrifft etwa folgende Fragen: Wie hoch ist der aktuelle Nutzungsgrad des Systems durch die Fachabteilungen? Welche Abweichungen vom Soll-Prozess haben die gelebten Prozesse? An welchen Stellen im Prozess existieren die größten Ineffizienzen? Sind die Ursachen dieser Ineffizienzen bekannt?
Mussten diese Informationen in der Vergangenheit einzeln erfasst und dokumentiert werden, helfen heute digitale Tools dabei, diese Prozesse auf Basis vorhandener Daten auszuwerten. Hier kommt das Process Mining ins Spiel.
Process Mining – Röntgenblick hinter die Business Prozesse
Process Mining Software erfasst Event-Daten aus unterschiedlichsten IT-Systemen entlang von definierten Geschäftsprozessen wie etwa Order-to-Cash oder Procure-to-Pay. Durch das Zusammenführen und Auswerten dieser „digitalen Spuren“ lassen sich so End-to-End Prozessvisualisierungen, inklusive Abweichungen vom Standard-SAP-Pfad, erzeugen. Diese liefern nicht nur Aufschluss über die Art der Prozessabweichung über Märkte und Business Units hinweg, sondern auch eine genaue Aufschlüsselung darüber in wie vielen Fällen diese im betrachteten Zeitraum aufgetreten sind und welche zeitlichen Auswirkungen sie nach sich gezogen haben.
Die dabei entstehenden Effizienzverluste bzw. Einsparpotenziale lassen sich so exakt auf Tagesbasis berechnen und liefern damit die notwendige Transparenz, um Awareness für Prozessverbesserungen auf Entscheider-Ebene zu erzeugen. Dabei geht es nicht immer nur um klassische Effizienzgewinne im Sinne von Kosteneinsparungen, sondern auch um die Skalierbarkeit des eigenen Geschäfts in Zeiten begrenzter Fachkräfte oder die Stärkung der Supply Chain Resilienz.
Deep Dive zur tiefergehenden Problemanalyse
Das Process Mining dient dabei als Vor-Analyse. Dort, wo Auffälligkeiten im Prozess sichtbar werden, erfolgt im nächsten Schritt eine weiterführende Problemanalyse. Dabei werden mithilfe von Interviews mit den am Prozess beteiligten Mitarbeitenden die wahren Problemursachen identifiziert und mögliche Gegenmaßnahmen abgeleitet.
Je nachdem, wo die Ursachen für die Prozessabweichungen liegen, lassen sich diese idealerweise innerhalb des neuen Zielsystems SAP S/4HANA durch den Einsatz entsprechender Apps beheben. In anderen Fällen bieten Anbieter von Process Mining Software, wie beispielsweise Celonis, eigene Möglichkeiten zum Anlegen einfacher automatisierter Workflows auf Basis von Business-Regeln und -Logik, die automatisierte Ereignisse auf Basis aktueller Daten aus dem gleichen System triggern.
Fazit: SAP S/4HANA-Implementierung über den gesamten Lebenszyklus begleiten
Process Mining ermöglicht einen sehr schnellen und intuitiven Einblick in die bestehende Prozesslandschaft. Die Erkenntnisse aus dem Process Mining können dabei nicht nur im Vorfeld eines Migrationsvorhabens, sondern über den gesamten Lebenszyklus der SAP S/4HANA-Implementierung hinweg genutzt werden, von der Planung und Konzeption über die Einführung bis hin zur Betriebsüberwachung.
So können im Rahmen der Planung bereits auf Basis objektiver Daten Soll-Funktionen und andere Anforderungen an die neue Implementierung sinnvoll priorisiert und die Akzeptanz der involvierten Stakeholder gestärkt werden. Auch in der Konzeptionsphase liefern die Erkenntnisse aus dem Process Mining wichtige Hinweise, etwa für die Gestaltung von neuen Templates zur Vermeidung von unerwünschten Prozessabweichungen. Während des Rollouts kann Process Mining wiederum dazu dienen, typische User Bottlenecks zu erkennen und Nutzer-Trainings dahingehend anzupassen. Und schließlich kann Process Mining auch im Sinne eines kontinuierlichen Monitorings der zentralen Geschäftsprozesse in der Post-Rollout Phase genutzt werden, um Organisationen verlässlich anzuzeigen, wie sie im Vergleich zum Zielplan arbeiten und eine schnelle Anpassung an sich verändernde Marktverhältnisse zu ermöglichen.