Agentic AI in Life Sciences
From Assistant Tool to Process Intelligence
Wie KI-Agenten Life-Sciences-Prozesse in Zukunft verändern und welche Fragen sich Unternehmen jetzt stellen sollten.
Agentic AI ist das Buzzword der Stunde – zu Recht. Denn KI-Agenten versprechen völlig neue Produktivitätspotenziale: Sie ermöglichen nicht nur die Bearbeitung einzelner Tasks, sondern auch die autonome Orchestrierung komplexer Workflows entlang der Life-Sciences-Wertschöpfungskette. Um jedoch ein echtes End-to-End Execution Model zu realisieren, müssen Unternehmen zunächst ein umfassendes Verständnis ihrer Prozesse entwickeln – fachlich, technisch und regulatorisch.
Etwas mehr als drei Jahre ist es her, dass die erste Version von ChatGPT veröffentlicht wurde und ein neues Kapitel KI-unterstützter Business-Prozesse eingeläutet hat. Seither sind über verschiedenste Branchen hinweg immer neue, beeindruckende Use Cases entstanden, die zu Effizienzsteigerungen in einzelnen Prozessschritten, besserer Entscheidungsfindung und Entlastung der Mitarbeitenden geführt haben. Dennoch muss man feststellen: Die meisten heutigen KI-Lösungen sind auf isolierte Aufgaben beschränkt. Bei komplexen, mehrstufigen Abläufen stoßen sie an Grenzen.
Hier setzt Agentic AI an: Im Unterschied zu klassischen KI-Lösungen können Agenten-basierte Systeme nicht nur analysieren oder generieren, sondern autonom handeln, denken, planen und sich an ihre Umgebung anpassen. Sie zeichnen sich durch ihre Fähigkeit aus, unabhängige Entscheidungen zu treffen, bestimmte Ziele zu verfolgen und dynamisch sowohl mit digitalen Systemen als auch mit menschlichen Kolleginnen und Kollegen zu interagieren.
Damit entsteht ein vollständig neues Modell intelligenter Prozesssteuerung – in dem KI nicht nur einzelne Aufgaben, sondern ganze Wertschöpfungsprozesse über Systemgrenzen hinweg unterstützt. Agentic AI stellt damit eine neue Entwicklungsstufe auf dem Weg von reiner Task-Automation hin zu einer kollaborativen Intelligenz dar (vgl. Abb. 1).
From Task Automation to Collaborative Intelligence | © msg industry advisors ag
Agentic AI in GxP-Prozessen – Von der Theorie zur validierten Praxis
Übertragen auf die Life-Sciences-Industrie könnte das beispielsweise so aussehen: Während klassische KI eine Abweichungsmeldung im LIMS analysieren kann, übernimmt ein Agenten-basiertes System den gesamten Folgeprozess. Es klassifiziert die Abweichung gemäß SOP, erstellt einen auditfähigen Bericht und plant einen QA-Review ein. Alles in wenigen Minuten, nachvollziehbar und unter menschlicher Aufsicht.
Zu diesem Zweck unterteilt ein Agentensystem den Arbeitsablauf in Aufgaben und Teilaufgaben, die ein Manager-Subagent anderen spezialisierten Subagenten zuweist. Diese spezialisierten Subagenten nutzen Erfahrungen, Fachwissen und Organisationsdaten. Sie stimmen sich ab und führen die Aufgaben aus. Dabei bleibt die Aufgabenteilung klar: Das LLM („Thinking“) interpretiert den Prompt, plant den Ablauf und entscheidet, welche Tools eingesetzt werden. Die konkrete Ausführung erfolgt in validierten Systemen wie MES oder LIMS („Doing“), unter Einhaltung aller GxP-Anforderungen – inklusive Audit-Trails, Zugriffskontrolle und Freigabeprozessen.
Diese Fähigkeit, Informationen systemübergreifend zu verarbeiten, validierte Systeme gezielt anzusteuern und Aufgaben eigenständig umzusetzen, macht KI-Agentensysteme zum Katalysator für Prozesse, in denen bisherige Automatisierungslösungen an Systemgrenzen und Medienbrüchen scheiterten.
Prozessverständnis als Grundlage für agentische Systeme
Die Transformation in Richtung Agentic AI ist keine rein technologische Fragestellung. Sie berührt vielmehr fachliche, regulatorische und ethische Fragestellungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Die Grundlage bildet ein tiefgreifendes Prozessverständnis:
Nur mit klarem Verständnis ihrer End-to-End-Prozesse können Unternehmen tragfähige Agentenarchitekturen aufbauen. Das umfasst Systemgrenzen, Rollen, Datenflüsse und regulatorische Anforderungen. Diese bilden die Voraussetzung dafür, dass agentische Systeme sinnvoll und sicher in bestehende Validierungs- und Qualitätssicherungsprozesse integriert werden können.
Agentic AI End-to-End Cycle | © msg industry advisors ag
Gerade in GxP-Umgebungen gilt: Agentenarchitekturen müssen vom Prozess her gedacht werden – nicht von der Technologie. Nur so lassen sich Risiken vermeiden und Compliance sicherstellen.
Drei Aspekte, die Unternehmen vor dem Einsatz klären sollten
Die Fähigkeit agentischer Systeme, eigenständig Entscheidungen vorzubereiten und Aufgaben systemübergreifend umzusetzen, bringt neue Verantwortlichkeiten, Anforderungen und Risiken mit sich. Unternehmen sollten sich frühzeitig mit folgenden Aspekten auseinandersetzen:
- Human-AI Operating Model
Die Einführung von Agentic AI erfordert klare Regeln für das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine. Wer trifft welche Entscheidungen? Wo liegt die Verantwortung? Welche Aufgaben dürfen Agenten selbstständig übernehmen – und wann ist menschliches Eingreifen vorgeschrieben? Ein formalisiertes Human-AI Operating Model definiert Entscheidungsgrenzen, Transparenzpflichten und Eskalationsprotokolle. Es schafft Vertrauen, fördert Akzeptanz und ist eine Voraussetzung für regulatorische Anschlussfähigkeit.
- Compliance by Design
Anders als klassische IT-Systeme verändern sich agentische Systeme durch Nutzung. Diese Dynamik steht im Widerspruch zu den etablierten Validierungsparadigmen im GxP-Umfeld. Deshalb müssen Compliance-Anforderungen von Anfang an in die Systemarchitektur integriert werden. Ein mehrschichtiges Modell aus Validierung, Sicherheits- und Kontrollmechanismen gewährleistet, dass auch dynamische Agenten regulatorisch anschlussfähig bleiben.
- Implementation Roadmap
Die erfolgreiche Einführung von Agentic AI erfordert eine klare Roadmap: Zuerst müssen Datenquellen vereinheitlicht und integriert werden. Danach folgt der Aufbau von Guardrails – also technischen, organisatorischen und regulatorischen Schutzmechanismen. Erst dann sollten Pilotprozesse mit klar definierten Rollen und Kontrollpunkten umgesetzt werden. Wer diese Schritte überspringt, riskiert unkontrollierbare Systeme und fehlendes Vertrauen. Eine disziplinierte Umsetzung ist entscheidend für Skalierbarkeit und langfristigen Erfolg.
Fazit: Jetzt die Grundlagen für agentische Systeme schaffen
Agentic AI ist die nächste Evolutionsstufe KI-gestützter Automatisierung – mit dem Potenzial, Prozesse in der Life-Sciences-Industrie intelligenter, schneller und regulatorisch robuster zu gestalten. Auch wenn die breite Einführung komplexer Multi-Agenten-Systeme noch in den Anfängen steckt, lohnt es sich, die strategischen Grundlagen jetzt zu legen: durch fundiertes Prozessverständnis, gezielten Kompetenzaufbau und die Entwicklung tragfähiger Human-AI-Modelle.
Denn je stärker KI künftig in validierungspflichtige Prozesse integriert wird, desto wichtiger wird ein bewusster, regulierter Umgang mit ihr – im Sinne einer echten Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Agentic AI ist ein wesentlicher Schritt auf diesem Weg.
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